Mimik und Masken - Teil 2

Ein paar aktuelle Eindrücke - was ich sehe und erlebe:

- ein frisch geborenes Baby in den Armen der Großeltern – die Großeltern mit Maske

- Kinder, die nicht mehr sehen können, ob jemand grinst über den gemachten Witz; der Prozess der zarten Kontaktaufnahme/Sympathiebezeugung/ Verbindung über das Lächeln - durch die Maske gestört und behindert

- Kinder 3 und 6 Jahre beim Spielen auf dem Trampolin; ein Kind will sich spontan an den Händen fassen, das andere schreit panisch: „Nein, das dürfen wir nicht, wir haben doch Corona!“

 Mich macht das traurig.

 

Zu fast allen psychischen Störungen gehört eine eingeschränkte Mimik.
Die Einschränkung der Mimik bei Parkinson hat den Effekt, dass Angehörige sich weniger geliebt fühlen und auch auf Pflegekräfte hat das erst einmal ein entsprechende Wirkung (man fühlt sich nicht willkommen und erwünscht), der gezielt entgegengewirkt werden muss, um einen freundlichen liebevollen Umgang dennoch zu ermöglichen.

 

Geboren in eine Welt mit einer visuellen Wahrnehmung, in der nur wenig fokussiert werden kann und die eher eine verschwommenes Gesamtbild vermittelt, sind Gesichter mit die ersten Erscheinungen, die unsere Aufmerksamkeit wie ein Magnet auf sich ziehen. Wir können sogar relativ schnell zwischen vertrauten und nicht vertrauten Gesichtern unterscheiden. Es gibt also schon sehr früh eine eingebaute Fähigkeit sehr klar Gesichter in ihren Feinheiten und individuellen Unterschieden bzw. Besonderheiten und in ihrem Ausdruck differenziert wahrzunehmen. Das scheint enorm wichtig zu sein.

 

Alle paar Stunden ist es naturgegeben, dass wir in die Nähe einer Bezugsperson kommen, damit unser Hunger (neben anderen Bedürfnissen) gestillt wird. Sonst sterben wir. Wir sind dabei absolut auf Beziehung und verlässliche Bezugspersonen angewiesen. Sie sind lebensnotwendig für uns.

Im Kontakt des Stillens werden wir normalerweise gehalten und es gibt Blickkontakt.

Hier lernt der neue Vagus (siehe Teil 1) seine ersten Lektionen.

Alle Muskeln, die später auch am Gesichtsausdruck und der Zuwenung im Raum beteiligt sind (Gesichtsmuskeln, Kaumuskeln, Schluckmuskeln, Kopfwender) sind im Prozess der Hinwendung zur Nahrungsquelle und beim Saugen und Schlucken hochaktiv. Wie im ersten Teil beschrieben wird dadurch auch der neue Vagus mit aktiviert und lernt, dass hier ein Grundbedürfnis erfüllt wird. Meist wird die Atmung ruhiger und das Herz beruhigt sich. Wir lernen Entspannung und Beruhigung. Gleichzeitig ist das Verdauungssystem angesprochen.

Dies geschieht immer wieder und, wie Eltern von Neugeborenen unvermeidlich bewusst wird, in relativ kurzen Intervallen.

Und das ist gut so. Es ist besonders wichtig, weil wir uns über unser eigenes Nervensystem zunächst noch nicht selber beruhigen können. Wir brauchen eine Regulationshilfe von außen, erst später – und das wird hier angelegt und geübt – erwerben wir (hoffentlich) die Fähigkeit, uns auch selbst zu beruhigen.

 

Außerdem wird gelernt, Nähe zuzulassen, was in späteren Beziehungen eine gesunde Intimität und auch Fähigkeit zur Hingabe ermöglicht. Unsere „normale“ Reaktion, wenn wir still gehalten und in unserer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden ist es, uns zu befreien. Ganz still liegt gefühlt in unserer Erfahrungswelt dicht bei tot.

Im Verlauf des Stillens (bzw. des als wohltuend und nährend empfundenen Kontakts) wird dies anders gekoppelt . Daran beteiligt ist ganz stark der neue Vagus, über den unser Herz eben mal schnell Beruhigung erfahren kann. Dies kann hier positiv gekoppelt  und gelernt werden.

Natürlich kann es schon vorgeburtlich Stressfaktoren geben, die dieses Beziehungserfahrung erschweren bzw. ein positives Milieu, das die wohltuende Beziehungserfahrung begünstigen und erleichtern kann, aber darauf will ich jetzt hier nicht eingehen.

 

Wir sind auf andere angewiesen und im Grunde unseres Herzens sind wir Herdentiere.

Wir nehmen wahr, ob Gefahr droht oder ob es sicher ist. Dazu orientieren wir uns besonders auch an anderen. Wie in einer Gazellenherde. Für uns spielt dabei die Wahrnehmung der Mimik eine große Rolle, weil sich über Spiegelneuronen über die äußere Wahrnehmung eine eigene Innenwahrnehmung bildet. Das geschieht sicherlich nicht nur über die Mimik, aber sie spielt dabei eine große Rolle, insbesondere über ihre Verbandelung mit dem neuen Vagus.

Wir wissen (hoffentlich) alle, wie beruhigend ein vertrautes Gesicht und eine vertraute Stimme wirken kann, wenn wir aufgeregt oder in Panik sind. Zur Bedeutung der Stimme komme ich noch später.

 

Wenn wir uns sicher fühlen, schauen wir eher auf die obere Gesichtshälfte. Wenn wir uns unsicher fühlen, wandert unser Fokus eher auf den unteren Bereich des Gesichts (Mund, Zähne, Kiefer) – wahrscheinlich um abschätzen zu können, ob von dort ein Angriff zu erwarten ist und wieweit die Mobilisierung schon fortgeschritten ist. Wenn dieser Bereich durch eine Make verdeckt ist, können wir von dort keine Informationen bekommen - das macht unsicher und solche Unsicherheit steigert tendenziell das Gefühl der Bedrohung.

Immer wieder traue ich meinen Ohren kaum, weil das was ich höre so unglaublich erscheint. So wie neulich so ganz nebenbei in einem Gespräch erläutert wurde, dass Menschen sich bei Angehörigen weniger als bei Fremden ekeln, wenn die Corona-Massnahmen nicht eingahlten werden. Was für Umfragen laufen denn da??? Ekeln Sie sich, wenn sich Ihnen jemand unvermummt soweit nähert, dass Kontakt, Berührung und ein Gespräch im Vertrauen möglich sind, bei dem nicht die ganze Welt mithört???!

 

Ich wünschte, es würde uns nicht durch Masken erschwert, die Situation einschätzen zu können und in den Gesichtern ablesen und miteinander und aufeinander auch positiv wirken zu können.

Innere Ausgeglichenheit und Ruhe, die auf einem Gefühl der Sicherheit beruht, sehe ich als mit die wichtigsten Zutaten zu einem Zustand, der Wohlbefnden, Heilung und Lust und Energie für wirklich Neues erlaubt.